Während eines Aufenthaltes in Uruguay im Sommer 1996 schuf Günther Uecker (geb. 1930) 116 kleinformatige, leuchtfarbige Aquarelle. Ohne erkennbaren Gegenstand scheint es sich um eine reine Farbmalerei zu handeln. Verschiedene Farbzonen stoßen als horizontale Streifen aneinander.
Oftmals verläuft die Farbe an einzelnen Stellen in das benachbarte Segment, zum Teil nur punktuell, manchmal auch über die komplette Länge der gemeinsamen Grenze. Die Intensität der Farbe variiert je nach ihrem Lösungsgrad, es lassen sich leuchtende, bunte und sehr helle, pastellfarbige Exemplare unterscheiden. Grundsätzlich hat sich Uecker auf ein Spektrum aus den Primärfarben Gelb, Rot und Blau beschränkt. Es gibt kein Grün, keine dunklen Mischungen, kein Schwarz. So entsteht insgesamt ein dominant leuchtender, heller, sonniger Farbklang, der allen Blättern zu eigen ist. Kennt der Betrachter den Entstehungshintergrund dieser Arbeiten, wird eine Imagination der südlichen Landschaft unmittelbar nachvollziehbar. Man meint, das helle Licht, das strahlend blaue Meer, die lichte südamerikanische Pampa zu erkennen. Plötzlich entsteht eine ferne Horizontlinie. Konvex oder konkav gekrümmte Farbstreifen vermitteln eine räumliche Tiefe, Schwingungen lassen sich als Hügelketten interpretieren, unterschiedliche Farbkonstellationen können als differenzierte tageszeitliche Lichtverhältnisse gelesen werden. Und dennoch: Uecker bildet keine Landschaft ab, seine Blätter sind keine Ansichten. Es ist möglich, dass sie mitten in der Natur an einem schattigen Tisch im Freien entstanden sind, genauso gut ist jedoch eine Ateliersituation vorstellbar: Ueckers Aquarelle sind vor allem künstlerische Experimente mit der Saugkraft des Papiers, mit verschiedenen Verdünnungsgraden der Farbe, mit dem Eigenleben des Wassers. Die einzelnen Blätter führen, zusammengehalten durch dasselbe Papierformat und eine fortlaufende Nummerierung, eine Existenz innerhalb der Serie und entfalten dennoch als Einzelarbeiten eine starke suggestive Kraft. In ihrer formalen Abstraktion mag man sich an die Malerei von Marc Rothko oder auch an die Pollenfelder von Wolfgang Laib erinnert fühlen. Eine verwandte Präzision, eine innere Konzentration und eine spürbar werdende Stille verbindet die Arbeiten dieser Künstler. Kunst öffnet sich hier in erster Linie über einen meditativen Zugang. Rothko, Laib und Uecker haben sich in unterschiedlicher Gewichtung mit westlicher und östlicher Spiritualität auseinandergesetzt und es verwundert nicht, dass der vom Zen-Buddhismus geprägte Uecker 1998 die Gestaltung des Andachtsraumes im Deutschen Bundestag übertragen wurde. Im Unterschied zu einer solch anspruchsvollen, repräsentativen Aufgabe sind seine Aquarelle private Äußerungen, deren Intimität jedoch in besonderem Maße berühren. Aus stummen Farbstreifen werden magische Landschaften, die ferne, fremde Landschaft verwandelt sich in eine poetische Malerei.