Seit der Erfindung der Fotografie und erst recht seit den Anfängen der digitalen Bildproduktion steht die Malerei grundsätzlich auf dem Prüfstand. Wozu noch in einem langwierigen Verfahren etwas abbilden, was sich mit einem Knopfdruck herstellen, manipulieren und fixieren lässt? Was kann das »Mehr« sein, zu dem nur der Maler, nicht aber der Fotograf oder der Designer in der Lage ist? Die Malerei von Tanja Mohr (geb. 1968) gibt mögliche Antworten auf diese Fragen.
Ihre Bilder sind an der Grenze zwischen freier malerischer Farbsetzung und gegenständlicher Andeutung angesiedelt. Unter ihren vibrierenden, leuchtenden Farboberflächen lassen sich Fragmente von Architekturen erkennen, die aber immer unscharf, uneindeutig bleiben. Hinter dem Farbvorhang öffnet sich so eine zweite, eine tiefenräumliche Welt, mehr jedoch ein Assoziationsraum als eine Wiedergabe gebauter Räume. Dennoch: Die geradezu betäubende Präsenz der intensiven Farbe findet so eine inhaltliche Rückkopplung in der Betrachtung. Die historische Architektur einer barocken Schlossanlage nimmt märchenhafte Züge an, wirkt durch das starke Blau wie eingefroren, durch das blendende Weiß geisterhaft verlassen. Aus der Kombination von Grün und Blau entsteht die Idee eines Landschaftsbildes, die Vorstellung eines schönen, hellen Sommertages mit einem strahlenden Himmel über einer satten Wiese. Tanja Mohr kalkuliert dabei mit den erlernten Mustern unserer Farbwahrnehmung, mit der eingespielten assoziativen Übertragung von Farbwerten in klimatische oder atmosphärische Eindrücke und Gefühle. Gleichzeitig fasziniert die präzise handwerkliche Gestaltung der Bildoberfläche, die Eroberung eines ungeheuer reichen Farbspektrums, der nuancierte Umgang mit dem Pinsel, der in breiten Streifen einebnet und verwischt, was zuvor plastisch erarbeitet worden ist, und schließlich eine dichte Verschränkung der Farb-Formelemente zu einem diffusen Gewebe. Die Farbverteilung erinnert manchmal an Infrarotbilder. Nicht von ungefähr wählt Tanja Mohr die Farbe Rot immer dort, wo in ihren Bildern eine Figur, ein Mensch zumeist fragmentarisch ›auftaucht‹ oder wo ein Interieur, ein warmer, belebter Raum gemeint ist. Ihre Landschaften haben hingegen eine äußerst kühle Anmutung, das immense Spektrum ihrer vielen Blautöne lässt an Wasserflächen, an einen See, einen Brunnen, Wasserspiele im Schlossgarten denken. Tanja Mohr malt Bilder, die einen Grenzbereich zwischen Wahrnehmung und Projektion sichtbar machen. Die in ihrer präzisen Uneindeutigkeit genügend Raum für eigene Assoziationen lassen und den besonderen Wert der Malerei in einer Welt voller Bilder mit aufdringlicher Eindeutigkeit nachhaltig behaupten.