Das Papier ist für Saskia Niehaus (geb. 1968) das entscheidende Medium ihres künstlerischen Schaffens. Es bestimmt sowohl ihr zeichnerisches als auch ihr plastisches Werk. Einerseits modelliert sie Pappmaché mit Draht, Ton und Wachs zu einer plastischen Form, die mit Bleistift, Tusche, Aquarell, Gouache und vereinzelt mit Acryl überarbeitet wird.
Andererseits nutzt sie als Zeichnerin mit Bleistift, Tusche und Aquarellfarben eine weite Bandbreite des papiernen Fonds: von einem Blatt in der Größe einer Visitenkarte bis zum Großformat von 150 x 300 Zentimetern. Mit hartem, spitzem Bleistift, weicher Kohle – oder seltener – mit feiner Tuschfeder beschreibt die Künstlerin ihre Gestalten und füllt sie mit Aquarell, Buntstift, Kreide, Tusche und Gouache aus. Die Farbe wird selten akkurat an die gezeichnete Linie gesetzt, sondern berührt diese kaum oder reicht über sie hinaus. Die Handhabung des Kolorits in Kombination mit dem schnellen, sicheren Strich suggeriert eine zügige Ausführung.
Saskia Niehaus thematisiert »Getier und Gemensch«, wie sie selbst es bezeichnet. Domestizierte Tiere, wie zum Beispiel Pferde, Schafe, Hunde und insbesondere Vögel, bevölkern ihre Blätter. Selten strotzen diese vor Kraft, sondern sie erscheinen eher gebrechlich. Gleichwohl wirken die Tiergestalten vitaler als der Mensch. Die Künstlerin stellt den Menschen stets unbekleidet dar und offenbart so seine Verletzbarkeit. Haltung und Gesichtsausdruck vermitteln eine Spannbreite von scheinbar widersprechenden Gefühlen: Freude und Trauer, Selbstzufriedenheit und Angst, Lüsternheit und Gequältheit, Stolz und Verzweiflung. Saskia Niehaus stellt ihre Figuren durch Disproportionen, partielle Ausschnitthaftigkeit und überzogene Darstellung häufig grotesk und skurril dar. Oftmals stehen die einzelnen Bildelemente isoliert zueinander, verlieren sich auf dem leeren weißen Bildgrund und sind dennoch durch Farbinseln oder unsichtbare Kompositionslinien miteinander verbunden. Die Quelle dieser Kompositionen entspringt ihrer inneren, phantastischen Vorstellungswelt. Diese ist geprägt von Naturbeobachtungen, Erfahrungen und Erinnerungen der Künstlerin, von ihrer Faszination und Ehrfurcht vor der Schöpfung. Und doch spricht sie auch von der Angst, Verunsicherung und Verlorenheit des Menschen in einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft, die im Fortschrittwillen kaum Grenzen akzeptiert.
Mit sparsamen Mitteln, hermetisch und rätselhaft und doch mit narrativer Kraft erscheinen die Darstellungen von Saskia Niehaus wie rasch festgehaltene Skizzen einer flüchtigen (alp-)traumhaften Vision. So wirkt auch ihre Vogel-Skulptur, deren Beschaffenheit äußerst fragil und zart, ja nahezu ›fragmentarisch‹ ist. Die Oberfläche des ›gerupften‹ Vogels wirkt verletzt und durchlässig. Die vermeintlich majestätische Geste der aufgespannten Flügel kann gleichermaßen als Ausdruck des Schmerzes gesehen werden. Das Tier scheint in einem hilflosen Zwischenstadium zwischen Leben und Tod zu taumeln. Diese Schutzlosigkeit, kombiniert mit Selbstbehauptung und Aggression, ist eine Eigenschaft, die sich in der Bildwelt von Saskia Niehaus in der gesamten Schöpfung wiederfindet und die immer auch einen Reflex zur eigenen Positionierung in der Welt darstellt.