Die Technik der Übermalung oder Überzeichnung ist seit über fünfzig Jahren konstitutiv für das künstlerische Schaffen von Arnulf Rainer (geb. 1929). Grundsätzlich steht bei dieser Herangehensweise die Herausforderung durch etwas bereits Vorhandenes – sei es eine eigene oder fremde Arbeit – am Anfang des schöpferischen Tuns.
Ausgangspunkt der sieben Radierungen sind Wolkenbilder, wiedergegeben in technisch anspruchsvollen Heliogravuren. Dieses Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte fotomechanische Tiefdruckverfahren kommt heute nur noch im Kunstdruck zur Anwendung und ermöglicht eine besondere Weichheit und Differenzierung in der Farbwiedergabe. In die atmosphärisch dichten Fotografien, die Rainer auf eine Druckplatte übertragen hat, dringen die gekratzten Lineamente des Künstlers ein: Sie zeichnen die Strahlen der durchbrechenden Sonne nach, verbinden die Randzonen eines Wolkenfeldes, simulieren die Windbewegung, lassen Atmosphärisch-Flüchtiges sichtbarer werden. Es kommt zu Verdichtungen, Bündelungen oder Streuungen linearer Strukturen, die sich aus feinen, aber gleichzeitig harten, expressiven und energetisch aufgeladenen Strichen zusammensetzen. Der Arbeitsprozess scheint ein spontaner, schneller zu sein, der sich unmittelbar in der Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Motiv entzündet. Anders als in vielen Mappenwerken und Einzelarbeiten von Rainer bleibt der Bildgegenstand in dieser Serie sichtbar. Die verschiedenen Formationen der sich ballenden Wolken, die unterschiedlichen Tageszeiten und Wetterbedingungen bei der Aufnahme variieren ein Thema, das in der Malerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Medium der Ölskizze entdeckt worden war: der Blick in den Himmel, auf die wechselvollen Erscheinungen von Licht und Schatten, auf die morgendliche Himmelsröte oder die grau-blaue Eintrübung am Abend. Die Natur in ihrer Grenzenlosigkeit und ihrem steten Wandel wurde in der Romantik als Seelenspiegel, als Urgrund des Sentimentalischen begriffen. Hier fand sich der Mensch mit seinen Stimmungen und Gefühlen wieder, hier erlebte er sich aber auch in seiner Begrenztheit und seiner Endlichkeit. Diese Möglichkeit zum Selbstbezug mag für Arnulf Rainer, der seit Ende der 1970er Jahre auf vielfältige Weise existenzielle Fragen nach dem eigenen Selbst, nach Tod und Metaphysik bearbeitet, von einem starken Interesse gewesen sein. Der Akt der Bildproduktion wird für ihn aber auch zur direkten Vergewisserung der eigenen Schöpferkraft. Rainer denkt dabei immer in einem seriellen und somit zeitlichen Zusammenhang. Seine künstlerische Energie entfaltet sich in einem Prozess des Schaffens, der weit über die Fertigstellung einzelner Bilder hinausreicht. Er ist, wie er einmal in einem Interview sagte, »in die Straße und nicht in das Ziel verliebt«.