Mit ihren radikalen Darstellungen des menschlichen Körpers – verletzbar, vergänglich, biologischen Prozessen ausgeliefert – wurde Kiki Smith (geb. 1954) Ende der 1980er Jahre bekannt. In ihren Arbeiten kehrte sie ganz konsequent das Innere des Körpers nach außen, zeigte Blut, Sperma, Schweiß und Tränen.
In den letzten Jahren entnahm sie dazu wesentliche Anregungen auch der Literatur, etwa den Erzählungen Lewis Carrolls und der Gebrüder Grimm. Von hier aus hat sie die narrative Seite ihrer Werke, die schon frühzeitig angelegt war, deutlich verstärkt. Dabei bedient Smith sich in ihrem umfangreichen Œuvre verschiedener künstlerischer Techniken: Sie zeichnet, druckt, modelliert, fotografiert und filmt. Neben Skulpturen aus Porzellan, Gips und Aluminium hat die Künstlerin auch eine beeindruckende Werkgruppe von Bronzearbeiten geschaffen.
»Dreaming with owl«, eine liegende schlafende mädchenhafte Frau, über die eine Eule wacht, ist Teil einer Serie von scherenschnittartigen, vollkommen flachen Bronzereliefs von Frauen und Tieren. Die Künstlerin bearbeitet die Bronzeplatten mit einem Wasserstrahl unter hohem Druck. So entstehen Umriss und Binnenzeichnung. Anschließend behandelt sie das Material in einer Weise nach, die eine farbige Patina entstehen lässt und die Oberfläche belebt. Für die Künstlerin stehen Tiere in einer engen spirituellen Verbindung mit dem Menschen. Smith ertastet in ihrer Kunst so den Zwischenbereich, in dem Mensch und Tier sich begegnen. Ihre Interpretation der Tierwelt ist inspiriert von dem Anthropologen Carlos Castanedas. In seinen phantastischen Kultbüchern vermittelt dieser die Vorstellung, dass jedem Menschen ein Tier zugeordnet ist, das ihn lebenslang begleitet. Wenn der Mensch stirbt, vereint er sich mit dem Tier und verwandelt sich in dieses. Ob für Kiki Smith die Eule diese Bedeutung hat, mag dahingestellt sein. Auch bezieht sich »Dreaming with owl« nicht auf eine bestimmte Erzählung. Die Arbeit entspringt vielmehr den eigenen Träumen der Künstlerin. Es ist das Bild einer Traumwandlerin. Vögel haben in Smiths Kunst einen besonderen Stellenwert. 1992 träumte die Künstlerin, sie solle einen Vogel freilassen. Das war nach eigener Aussage gleichzeitig Befreiungsschlag und Wendepunkt in ihrem künstlerischen Schaffen. Zugleich trägt die Darstellung aber auch ein bedrohliches Moment in sich. Die liegende träumende Frau ist der sehr präsenten Eule schon in der Haltung scheinbar wehrlos ausgeliefert, die Krallen des Vogels sind vermeintlich untrennbar mit dem Körper der Frau verbunden. So bleibt die Szene letztlich uneindeutig und ist vom spannungsvollen Kontrast zwischen Befreiung und Bedrohung geprägt.