Mit den aquarellierten Bleistiftzeichnungen »Un despertar sin imagen« schafft José Maria Sicilia (geb. 1954) eigenartige Bildstimmungen, die geprägt sind von der rätselhaften Kombination von zart gezeichneten Baummotiven und von in den Bäumen hängenden farbigen Dingen, die ebenso Stoff wie Körper sein könnten.
Wie in seinem gesamten Werk scheint auch hier der Zusammenhang von Lebendigkeit und Vergänglichkeit, von naturhaften Erscheinungen und kulturell aufgeladenen Objekten das Thema seiner Bilderwelt zu sein. Zurückhaltend und leise – bis hin zum durchscheinenden Japanpapier – wirken diese Kompositionen, in denen Transparenz, Licht und Poesie eine entscheidende Rolle spielen. Herausgelöst aus einem landschaftlichen Kontext erscheinen die Baumszenen wie Bilder eines Märchens oder eines Mythos, dessen Geschichte unbekannt bleibt. In den mystisch wirkenden Bäumen erinnern die aufgedruckten Farbfetzen an Gebetstücher oder auch an aufgehängte Figuren. Die Zeichnungen scheinen sich damit auf der Grenze zwischen profanem Bild und Heiligenbild zu bewegen. So bleiben diese Darstellungen in der geheimnisvollen Schwebe zwischen der Schönheit der farblich dezenten Zeichnung und der schaurigen Vermutung einer vielleicht gewaltsamen Szene.
Die Poesie dieser Arbeiten spiegelt sich auch in ihrem Titel wider, dessen besonderer Klang in spanischer Aussprache nicht in andere Sprachen übertragbar ist. Inhaltlich führt dieser Titel – »Ein Erwachen ohne Bild« – nicht zum vermeintlich konkreten Bildsinn hin. Er stellt keinen Verweis etwa auf eine literarische Quelle dar. Vielmehr wirkt die Namensgebung des Bilder-machenden-Künstlers, die einen Zustand ohne Bild evoziert, zunächst paradox. Was bleibt dem Künstler, was bleibt dem Menschen ohne das sichtbare Bild? Es bleibt die Imagination als Gegenwelt zu den Erscheinungsformen eines säkularen und versachlichten Alltags. In ihrer zarten Zeichensetzung vermögen Sicilias Werke auf der Grenze imaginativer und realer Welten zu schweben.