In seiner Arbeit beschäftigt sich Robert Longo (geb. 1953) mit dem Phänomen von Macht und Gewalt in ihren verschiedensten Ausprägungen. Sein Spektrum der Beobachtung reicht dabei von der Gewalt des Menschen über ein anderes Individuum bis hin zur Analyse der westlichen Gesellschaft und den Ausuferungen der kriegerischen Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert.
Schließlich bezieht er auch die Ohnmacht des Menschen vor der nicht steuerbaren Macht der Natur in seine Betrachtungen der Gewalt mit ein – Longos großformatige Graphitzeichnungen der »Welle« aus einem umfangreichen Motivzyklus seit 1999 mögen zwar die Kenntnis der Wellen eines Gustave Courbet oder Caspar David Friedrich voraussetzen, sie gehen aber vor allem auf eine private Inspirationsquelle zurück: Der Surfsport seiner Söhne führte den Künstler zur intensiven Beobachtung der Kraft und Gewalt des Wassers und der Wellen. Eine Flut von Fotos und kleinen Skizzen bildete die Grundlage seiner großformatigen, hochrealistischen Kohlezeichnungen, die den Betrachter in den reißenden Strudel des Wassers hineinzuziehen scheinen: Fotorealismus, Überdimensionierung und Perspektive, komponiert aus hunderten von inneren wie äußeren Bildern und Eindrücken, nie jedoch nach einem konkreten Naturvorbild, evozieren Bewegung und Dynamik mit einer geradezu theatralischen Sogwirkung. Die Bewunderung und das Staunen vor der Natur, zugleich aber auch die Beklemmung und die Furcht vor der zerstörerischen Naturgewalt des Wassers werden wach und sind vom Künstler beabsichtigt: »Ich habe das Gefühl für das Wunderbare, bin voll Ehrfurcht und Bewunderung für die Natur und die Kunst. Gleichzeitig fordern sie mich heraus, erfüllen mich mit Wut und Kampfgeist.« Im Rückblick auf den zerstörerischen Tsunami von 2004 und die verheerenden Hurrikans in Nordamerika in den Jahren 2005 und 2006, deren Bilder alles verwüstender Gewalt die Medien durch die ganze Welt trugen, rücken die visionären »Wellen« Robert Longos in die bedrohliche Nähe der Wirklichkeit und führen dem Betrachter einmal mehr mit künstlerischen Mitteln die menschliche Ohnmacht ob der Kraft der Natur vor Augen. Zugleich umgibt auch diese Zeichnungen, wie alle seine Werke, »etwas Fantastisches, Verlorenes«, – Endzeitstimmung wird wach.
Auch in seiner Kohlezeichnung »Solar Eclipse« thematisiert Longo das große Staunen und die ganze Ohnmacht des Menschen vor der Schönheit und der Gewalt des Universums. Wenn der Mond sich vor die Sonne schiebt, walten Kräfte, die dem individuellen menschlichen Leben keinen Platz mehr einräumen. Die wissenschaftliche und technische Annäherung des Menschen an diese Phänomene bleibt immer nur ein weltliches Erklärungsmodell von beschränkter Relevanz. Diese Erkenntnis erfährt durch die Arbeiten Robert Longos eine faszinierende bildhafte Prägnanz.