Die sechs kleinformatigen Fotografien von Bernhard Prinz (geb. 1953) gehören zu einer umfassenden ab 1995 entstandenen Serie, die unter dem Titel »EPIDEMIEN« ausufernde Pflanzenteppiche auf einem neutralen, hellen Untergrund zeigt.
Die Ausbreitung der Pflanzen mit ihren Blättern, Blüten, Früchten, Ranken, Stielen oder Strünken erfolgt entweder von einem Zentrum aus oder es bilden sich formatfüllende Systeme, in denen verschiedene Satellitenpflanzen und Knotenpunkte unterscheidbar sind. Eine starke Überbelichtung bei den Aufnahmen lässt die Pflanzen transparent und luzide wirken und nimmt ihrer Erscheinung jede natürliche Vegetabilität. Die künstliche Inszenierung auf einem leuchtend hellen Untergrund erzeugt eine Art Laborsituation, ein artifizielles Klima, in dem die natürlichen Wachstumsprozesse der Pflanzen in ihrer Verdichtung geradezu bedrohlich wirken. Der Titel der Serie unterstreicht diesen Eindruck: Eine Epidemie (griech. »im Volk verbreitet«) bezeichnet eine ansteckende, sich unter einer Population schnell ausbreitende und im schlimmsten Fall unkontrollierbar werdende Infektionskrankheit. Der Blick auf harmloses Blattwerk oder lästiges Unkraut wird plötzlich unterwandert von Ängsten und Abscheu. Aus der ornamental anmutenden Struktur des Floralen entwickeln sich Vorstellungen pathologischer Wucherungen in gefährlicher Ausbreitung. Die ästhetische Wahrnehmung kippt über in eine deutende Interpretation: Die Natur, oftmals zum Dekor unserer Lebenswelt degradiert, scheint plötzlich ein verstörendes Eigenleben zu führen. Die chaotische Struktur der die Bildfläche füllenden Vegetation wird Zeichen eines beängstigenden Kontrollverlustes, gleichzeitig aber auch zum Ausdruck des triebhaften Lebenswillen, der allem Belebten eigen ist. Seit Jahren untersucht Bernhard Prinz in weiteren fotografischen Serien mit großer Konsequenz die Phänomene Dekor und Ornament. Seine ästhetisch aufgeladenen Porträts offenbaren den menschlichen Wunsch nach Zeichensystemen, sei es in Form von Mode, Körpergestaltungen oder Attitüden, mit deren gesellschaftlicher Signalfunktion eine Einordnung und Einbindung des Individuums ermöglicht oder verstärkt wird. Seine Fotografien spielen mit »der Faszination der Zeichen und ihrer [...] Wirkung auf ein im kollektiven Unterbewußten gespeichertes Empfindungssystem«. Konvergenzen mit den »EPIDEMIEN«, in denen sich Prinz erstmals mit der Pflanzenwelt beschäftigte, liegen in der theatralischen Inszenierung der Serie, im auratischen Charakter des Einzelbildes und – vor allem – im ständigen Wechsel der Empfindungen des Betrachters zwischen der ästhetischen Freude am Schönen und der Widerwart vor dem Kranken. Die alte Maxime der Stilllebenmalerei »instruere et delectare« (belehre und erfreue) wird dabei in radikaler Weise modernisiert.