Der Schweizer Künstler Alois Lichtsteiner (geb. 1950) malt seit dem Jahr 2000 Bilder von Bergen im Schnee. Den Ausgangspunkt bildeten einige Fotos, die er in jenem Sommer aus seinem Auto auf der Furka aufnahm.
Lichtsteiner hat sich im Rahmen dieser motivisch wie farblich sehr begrenzten Aufgabenstellung – schließlich handelt es sich immer um weiße Flächen mit sparsam eingesetzten grauen Streifen – ein beeindruckendes Repertoire von Realisierungsmöglichkeiten erarbeitet. Die drei in der Sammlung der ALTANA AG befindlichen Ölgemälde – ein Großformat und zwei kleinere Formate – bieten einen repräsentativen Ausschnitt aus dieser umfangreichen Werkserie. Zu sehen sind schneebedeckte Bergzonen, eventuell Gletscher, aus denen freigeschmolzene Felsblöcke herausragen. Schaut man genau, wird deutlich, dass Lichtsteiner diesen Eindruck auf malerisch geradezu minimalistische Weise erreicht: Größere weiße Flächen, aufgetragen mit breiten waagerechten Pinselstrichen, und wenige graue Strichlagen in senkrechter Pinselführung genügen als sparsame Anhaltspunkte, damit der Betrachter mithilfe seiner Seherfahrungen eine Berglandschaft zu erkennen meint. Lichtsteiners Minimalismus ist jedoch keinesfalls simpel. Seine Malerei zeigt vielmehr einen ungeheuren Reichtum an Farbtönen aus dem gesamten Spektrum zwischen den Polen von Weiß und Schwarz. Optisch erschließt sich so ein lichtvoller Raum, der die kristalline Härte und die eisige Kälte der alpinen Landschaft spürbar werden lässt, ohne sie jedoch jemals tatsächlich abzubilden. Niemals strebt der Künstler die Wiedergabe eines Landschaftsraumes an. Es gibt in seinen Bildern keine Zentralperspektive, keine räumliche Orientierung, keine Details wie etwa Vegetation und auch eine vermeintliche Himmelszone bleibt einfach unbearbeitet. Dort, wo Lichtsteiners Bildmotiv, der Berg, endet, bleibt die grundierte Leinwand leer. Wie dunkle Inseln liegen die Flecken in einem weißen Meer aus Farbe. Der Betrachter von Lichtsteiners in langen Malprozessen entstandenen Gemälden fühlt unmittelbar die Spannung zwischen Abstraktion und Natureindruck, zwischen der Eleganz seines Farbauftrags und der verblüffenden Vergegenwärtigung einer imposanten Berglandschaft mithilfe weniger gezielter Pinselstriche. Diese Spannung macht die Modernität von Lichtensteins Kunst aus, hier zeigt sich ihr großer konzeptioneller Anteil, der dennoch die unmittelbare sinnliche Überzeugungskraft seiner Gemälde nicht schmälern kann. Die Konzentration und Zeichenhaftigkeit seiner Malerei erinnert vielleicht an die Tradition der ostasiatischen Tuschpinselmalerei. Das Bild bleibt für Alois Lichtsteiner ein Ordnungsgefüge aus Farbe; für den Betrachter öffnet sich eine neue, andere Natur im Reich der Kunst.