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Sternenhimmel der Menschheit

In einer Zeit vor der Schrift war unser Sternenhimmel ein Kino der Nacht

Raoul Schrott

Das größtmöglich denkbare und zugleich für Menschen auf aller Welt gleichermaßen wahrnehmbare Naturphänomen – der Sternenhimmel – diente und dient zu allen Zeiten als Projektionsfläche für die Kulturen der Menschheit, in der sie ihre Mythen, Wertvorstellungen und Lebensbilder abbildet. Das weltumspannende Netz der Sterne ist damit zugleich eine globale Karte kultureller Menschheitsgeschichte – und somit der ursprünglichste und zugleich exponierteste Ausweis für die Verbindung von Kunst und Natur im Wesenskern des Menschen.

Der Autor Raoul Schrott erarbeitet über einen Zeitraum von mehreren Jahren einen „Atlas der Sternenhimmel“, der weltweit erstmals die Sternbilder und die damit verbundenen Erzählungen und Mythen der Kulturen der Menschheitsgeschichte erschließt.

Die Stiftung Kunst und Natur begleitet die Entstehung dieses Werkes als profilgebendes Thema, das in besonderer Weise die inhaltliche Ausrichtung der Stiftung repräsentiert.

Hierfür entwickelt sie ein mehrjähriges begleitendes Programm mit lokalen und dezentralen Veranstaltungen, Ausstellungen, Medienprojekten und Kooperationen und verantwortet die Gesamt-Publikation des „Atlas der Sternenhimmel“, geplant für das Jahr 2023/24. Als zentrales und verbindendes Element entwickelt sie eine Website als Plattform für die weltweite digitale Darstellung der Sternenhimmel selbst wie auch für die programmatische Begleitung des Entstehungsprozesses.

Sternenhimmel der Erde
30. November 2024
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Die ältesten Bilderbücher der Welt

Jede Kultur hat ihren eigenen Sternenhimmel: sie sieht in den willkürlich über den Himmel verstreuten Lichtpunkten jeweils völlig andere Figuren und versieht diese dann mit Mythen. Derart stellen diese Sternenhimmel mit ihren Konstellationen und dazugehörigen Geschichten die ältesten Bilder-Bücher der Welt dar. Und da sich die Figuren nachts mit dem Himmel drehen, finden sich darin auch die ältesten Kinoszenen wieder: von Zweikämpfen, Verfolgungen und Jagden, unglücklichen Liebschaften.

Die so gezeichneten und erzählten Sternenhimmel sind in der Regel älter als jeder Schriftgebrauch. Gerade deshalb waren sie für die einzelnen Kulturen wichtig: denn so ließ sich alles, was für eine Gesellschaft grundlegend war – ihre Götter, Helden, Totemtiere, Pflanzen und Dinge –, in die Sterne projizieren. Deren Umrisse einmal in die Nacht gesetzt – unseren Kirchenfenstern oder den sogenannten 'Armenbibeln' für das Volk vergleichbar –, illustrierten sie dann die Jahrtausende lang weitergegebenen Sagen dazu. So wurde der Sternenhimmel zum symbolischen Dach einer Gesellschaft, die von dort oben alles ablesen konnte, was für sie elementar war.

Als wäre die Nacht mit ihren über 6000, mit freiem Auge erkennbaren Himmelsobjekten ein Rorschach-Test, verband man die Sterne zu immer wieder anderen Mustern: das einzige Muster, das weltweit gleich blieb, sind die Plejaden – die dann jedoch jedes Mal völlig anders gedeutet wurden: als Geschmeide am Hals einer vorislamischen Göttin etwa, als Maiskornsamen für die Navajo oder bei den Inuit als Huskys, die einen Eisbären jagen. Andere, für uns scheinbar selbstverständliche Figuren wie der Orion oder Große Wagen wurden, je nach Kultur, segmentiert oder mit weiteren Sternen ringsum zu einer Gestalt verbunden: und dementsprechend natürlich anders benannt und mit Geschichten erklärt. Und der Varianten sind da viele: so hatten beispielsweise die Ersten Völker Kanadas am arktischen Kreis einen Sternenhimmel, der zur Gänze eine einzelne riesige Figur abbildete als größtes Sternbild je: einen Tiermenschen, der über der Erde hockt und auf sie herabschaut. Die Indios der Atacamawüste wiederum verbanden nicht die Lichtpunkte zu einer Gestalt, sondern sahen in den schwarzen Nebel dazwischen ihre Figuren: für sie war etwa nicht die Milchstraße ein Bild, sondern die dunklen Flecken darin, die einen Emu oder einen Jaguar erkennen ließen.

Sternenhimmel stellen überall die perfekteste denkbare Verbindung von Kultur und Natur dar. Was man in die Sterne projizierte, war rein kulturell bedingt – was Sterne und ihre Bewegungen darstellen, jedoch reine Natur. Indem man beides miteinander verschmolz, erhielt der Sternenhimmel nicht nur symbolische, sondern auch eine eminent pragmatische Funktion: denn er stellte zugleich den ältesten Kalender dar. Der Aufgang einzelner Sternbilder bestimmte die Zeit fürs Säen, Ernten, Jagen, und der Mondlauf den Monat. Und natürlich orientierte man sich an den Sternen und navigierte mit ihnen.

Von einem Sternenhimmel mussten sich die fundamentalsten Elemente einer Gesellschaft ableiten lassen: ob der jeweilige Schöpfungsmythos oder die moralischen Vorstellungen, die Daten der Jahreszeiten oder ihre Götter. Ob Heilmethoden und Wiederauferstehungsphantasien, Glück und Unglück, astrologische Vorhersagen und astrale Gesetze – auch das englische 'Desire' ist noch etwas, das etymologisch 'von den Sternen kommt’.

Unser Sternenhimmel ist jedoch das schlechteste Beispiel dafür – weil er nicht der unsere ist, sondern wir ihn aus dritter Hand übernommen haben. Die Sternbilder stammen fast samt und sonders aus Mesopotamien, wo sie als nächtliche Ebenbilder der wichtigsten Götter gesehen wurden, die nachts über die Welt wachten. Weil die Griechen und Römer mit ihnen – und den Mythen dazu – nichts anfangen konnten, wurden sie mit neuen Namen und Geschichten belegt. Und die wanderten dann weiter zu arabischen Astronomen, von denen wir sie im Mittelalter übernahmen, um sie darauf zu unseren zu machen. Deshalb haben die Sterne meist arabische Namen, wie Beteigeuze (als 'Die Hand der Mächtigen', welche das Geschmeide der Plejaden um ihren Hals trägt).

Überall sonst ist der Sternenhimmel ein zusammenhängendes Ensemble von Sternbildern, über die sich eine Kultur definiert und wiedererkennt. Deshalb listet die UNESCO sie auch als 'ungreifbares Weltkulturerbe' auf – das zusammen mit den indigenen Kulturen weltweit vom Verschwinden bedroht ist.

Dennoch gibt es bislang weltweit keine Publikation, die sie umfassend dokumentiert: nicht einmal Karten der einzelnen Sternenhimmel gibt es. Das hat seinen Grund darin, dass man die Materialien für diese 'Ethno-Astronomie' oder 'Kulturelle Astronomie' erst mühsam aus hunderten verstreuten Publikationen zusammentragen muss, um die Sternbilder zu identifizieren, ihre Funktion zu beschreiben und die dazugehörigen Legenden zu finden.

Weltweite Recherchen sind notwendig und werden fortgeführt, um erstmals die relevanten Sternenhimmel auf allen Kontinenten zu dokumentieren, bevor sie als elementares Stück Menschheitsgeschichte in Vergessenheit geraten. Dazu gehören die Himmel der Eskimo/Inuit, der 'Indianer' als Erste Völker Nordamerikas, der Maya und Inka, der Indios im Amazonas und der Atacama, der Osterinsel, der Maori Neuseelands, der Aborigines Australiens, der Philippinen, Indiens und Chinas sowie der Khoisan als 'Buschmänner' Südafrikas.

17 Himmel

Kein Himmel ist gleich. Von jedem Punkt unserer Welt ist der Himmel ein anderer: 17 Sternen­himmel, gesehen aus vielerlei Augen. Bald versammelt im Atlas der Sternenhimmel.

Rückblick

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15.-16. September 2023
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