Welche Arten von Tempo erfahren wir individuell, kulturell und in der Natur? Wie hängen sie zusammen? Wie können wir unser Tempo stärker an die Geschwindigkeiten ökologischer Kreisläufe anpassen – und wie würden wir dann leben? Die interdisziplinäre Ausstellung „Tempo! Alle Zeit der Welt“ lädt ab 26. September 2021 bis zum 6.2.2022 dazu ein, neu zu entdecken, inwiefern die Tempi der Erde und der Menschen einander berühren.
Alles auf der Erde ist ständig im Fluss – mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dabei ist es offenbar nur für eine Spezies bedeutsam, diese systematisch zu erfassen, zu standardisieren und zu messen. Die Menschen haben ihre eigene (Uhr-)Zeit erfunden und viele ihrer Aktivitäten richten sich darauf aus, die Taktung pro Sekunde zu erhöhen. Beschleunigung ist das wesentliche Merkmal der Moderne: Aus Kutschen wurden Autos und aus Briefen E-Mails. Damit Körper, Informationen und Waren schneller fließen konnten, brauchte es eine globale Zeit-Standardisierung und vor allem immer mehr Holz, mehr fossile Energieträger, mehr von allem. Nach 1945 hat der Verbrauch von Rohstoffen so stark zugenommen, dass Wissenschaftler:innen von der „Großen Beschleunigung“ sprechen: Die Geschwindigkeiten des Alltags, der industriellen Produktion, des Umlaufs von Dingen und Daten sind verbunden mit Kohle, Erdöl, Wäldern, Wasser und den Ökosystemen der Erde insgesamt.
Die stetige Beschleunigung hat geologische und biologische Kreisläufe längst deutlich gestört: Das Treibhausgas CO2 beispielsweise wird durch menschliche Aktivität schneller erzeugt, als es gebunden und damit wieder aus der Atmosphäre gezogen werden kann. Zugleich haben viele Menschen in Industriestaaten das Gefühl, aus dem Takt geraten zu sein: Sie suchen nach einem passenden Lebensrhythmus in einem von Stress und Entfremdung geprägten Alltag. Die „Eigenzeit“, also die subjektiv erlebte Zeit, tritt immer stärker hinter die physikalische „Weltzeit“ zurück (so der Philosoph Norman Sieroka). Menschheit und Erde steuern auf den gemeinsamen Burn-out zu, im Wettrennen gegen die Uhr gibt es langfristig keine Gewinner:innen. Der „Gewinn“ von Zeit führt zum Verlust unserer Welt. Wie können wir von der „Monokultur der Beschleunigung“ (Marianne Gronemeyer) umstellen auf eine Vielfalt von Zeitkulturen, in denen auch Muße, Achtsamkeit und Innehalten eine Rolle spielen? Welche Arten von Tempo erfahren wir individuell, kulturell und in der Natur? Wie hängen sie zusammen? Welche fördern und genießen wir? Wie können wir unser Tempo wieder an die Geschwindigkeiten ökologischer Kreisläufe anpassen – und wie würden wir dann leben?
Mit Kunstwerken von Carl Bössenroth, Tega Brain und Sam Lavigne, Johanna Domke, Mark Formanek, Oliver Gather, Jeppe Hein, Tehching Hsieh, Sanja Iveković, Simone Kessler, Cesar Kuriyama, Claude Lelouch, Joana Moll, Rachel Sussman und Melanie Wiora sowie Objekten aus der Kulturgeschichte und den Wissenschaften.