Seit vielen Jahren untersucht der Schweizer Soundkünstler und Wissenschaftler Marcus Maeder externe Einflüsse auf die Natur. Die gewonnenen Erkenntnisse verarbeitet er einerseits künstlerisch, bringt sie aber auch in wissenschaftliche Kontexte ein. Seine Projekte lassen sich auf der ganzen Welt finden: etwa in Brasilien und Estland, wo er die Soundscapes der Wälder untersucht; oder in Nantesbuch, wo er seit Januar 2020 den Sound der voralpinen Moorlandschaft erforscht und deren Biodiversität akustisch misst. Er nennt es *posterity.
Anlässlich des LiteraturFests Nantesbuch hat Marcus Maeder seine Forschungsarbeit für Nantesbuch in einem *posterity-Piratenradio zugänglich gemacht.
Auf www.posterity.de ist sie dauerhaft zugänglich und im Oktober rund um Nantesbuch auch im Radio ukw 90,4 zu hören.
Die Programmleiterin der Stiftung Kunst und Natur, Annette Kinitz, traf den in Zürich lebenden Künstler und Wissenschaftler zu einem Interview.
Marcus Maeder gehört zu den Künstlern, die sich für ihre Arbeit zunehmend von der (Natur)Wissenschaft inspirieren lassen. Was auf den ersten Blick wie zwei voneinander getrennte Disziplinen erscheint, erweist sich in historischer Rückschau als ein gemeinsames Ganzes. Universalgelehrte wie Leonardo da Vinci und Alexander von Humboldt waren sowohl für ihre wissenschaftliche Arbeit als auch ihr künstlerisches Schaffen bekannt und Kunst bis zur Romantik ein Begriff, der auch wissenschaftliche Methoden einschloss. Erst mit der Bezeichnung der Schönen Künste für Literatur, bildende Kunst und Musik wurden Kunst und Wissenschaft voneinander losgelöst und etablierten sich als eigene Disziplinen.
Die Umwelt wieder mehr in den künstlerischen Prozess einzubeziehen, kommt sicher nicht von ungefähr. Aufgerüttelt durch Ereignisse, die langfristige Auswirkungen auf unsere Umwelt hatten, wie z.B. Tschernobyl, trägt der Klimawandel zu einem generellen Wahrnehmungs-Shift auch bei Künstlern bei. Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft und Mensch und Natur werden neu betrachtet; die digitale Kunst lässt sich von Informatik und Naturwissenschaften inspirieren. Die Kunst als Spiegel der gesellschaftlichen Zustände spielt für den generellen Paradigmenwechsel eine wichtige Rolle.
Annette Kinitz: Marcus, du bist Wissenschaftler und Künstler. Wie schaffst du es, diese beiden Disziplinen zu vereinen, wo doch ein Wissenschaftler stets einen objektiven Blick wahren muss, wohingegen ein Künstler subjektiv sein darf?
Marcus Maeder: In den meisten meiner Projekte erkunde ich einen Gegenstand aus der wissenschaftlichen und gleichzeitig aus einer künstlerischen Perspektive: Was höre ich, welche Beziehungen haben die Geräusche und deren Quellen zueinander? Das lässt sich einerseits ökologisch, andererseits ästhetisch untersuchen. Zudem beschäftigen Fragen der Darstellbarkeit Wissenschaftler wie Künstler, insbesondere in der Arbeit mit digitalen Werkzeugen. Naturwissenschaftliche Forschung ist von ästhetischen Fragen nicht zu trennen und umgekehrt die Kunst nicht von wissenschaftlichen Einsichten: Ohne eine umfassendere Informiertheit in beiden Domänen kratzen wir nur an der Oberfläche der Dinge oder verbleiben im je eigenen Elfenbeinturm – insbesondere in Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext unseres Tuns, der nicht mit Objektivität wegzureden ist. Künstler wie Wissenschaftler fragen sich im Grunde dasselbe: Was sehe/höre ich hier und welche Bedeutung hat es? Die Antworten sind verschieden, da die Referenzsysteme der Wissenschaft und der Kunst unterschiedlich sind. Im Kern haben Kunst und Wissenschaft aber mehr miteinander zu tun, als man dies in der Regel eingestehen will, insbesondere was Wahrheitsansprüche betrifft (das Schöne ist zugleich das Gute/Wahre und umgekehrt). Paul Feyerabend verglich in diesem Zusammenhang wissenschaftliche Disziplinen mit Kunstrichtungen. So besteht mein Experimentieren oftmals darin, auf umweltbezogene Fragestellungen sowohl eine wissenschaftliche wie eine künstlerische Antwort zu finden - in der hybriden, mehrdeutigen Form eines Kunstwerks.
AK: Wie bist du auf die Bioakustik, also die Wissenschaft von der Erforschung der Natur über akustische Signale gekommen und was fasziniert dich besonders daran?
MM: Als Klangkünstler steht man irgendwann draussen mit einem Mikrofon in der Hand und nimmt Umweltgeräusche auf. Ich wollte besser verstehen, was ich da höre. Bioakustik ist eine Disziplin, die sich vor allem auf das akustische Verhalten von Organismen konzentriert. Mich interessieren aber eher systemische Zusammenhänge, und da spricht man von Ökoakustik, also von der Frage, welche ökologischen Zusammenhänge hinter dem stehen, was ich in einer Landschaft höre. Da gehören auch Geräusche anorganischen Ursprungs wie das Wetter oder der Lärm von Menschen bzw. deren Maschinen dazu. Mich interessieren in der Folge dann Fragen wie: Wie kann eine künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsmethode aussehen, die einen Aspekt in der Umwelt möglichst umfassend greifen soll? Und wie kann ich diesen Aspekt diskursiv verfügbar machen?
AK: Du schreibst in deinem Buch «Kunst, Wissenschaft, Natur», dass die «Umwelt»kunst oder EcoArt, wie wir sie in Europa bezeichnen, ihren Ursprung in der vorrangig amerikanischen Konzeptkunst und Land Art der 1960er und 70er Jahre haben. Inwiefern haben dich Künstler Walter de Maria oder auch Joseph Beuys in deinem Schaffen beeinflusst?
MM: Beuys ist sicherlich wichtig für mich und auch sehr aktuell geblieben. Seine Installationen und Performances – ich nenne sie gerne in Anlehnung an Timothy Morton dunkle Systeme – sind gespickt mit alternativen Wissenszugängen, Wissensformen. Ich finde sie vor allem deshalb interessant, weil sie auf das Seltsame der Dinge, die Fremdheit von Systemen und Zusammenhängen hinweisen: Wir müssen und können nicht alles verstehen; unsere eigenen Zeichen/Zuschreibungen werden uns zuweilen fremd. Vielleicht fühlen, antizipieren wir aber unsichtbare Zusammenhänge und Systemfunktionen, das hat Beuys mit seinen energetischen Konzepten auf interessante Weise gezeigt. Die Dinge und die Vernetzungen zwischen ihnen haben ein Eigenleben und wir werden immer nur einen Teil davon verstehen. Bezüglich sozialer Plastik und Umweltaktivismus bei Beuys ist ja bereits genug auf deren Pioniercharakter hingewiesen worden.
Von Walter de Maria kenne ich eigentlich nur die Blitzableiter-Installation; eine schöne Arbeit. Wichtig ist bezüglich Environmental Art aber der Umstand, dass sich diese von der Landschaftskunst zu einer Kunst entwickelt hat, die sich aktiver mit der Umwelt und Umweltproblemen auseinandersetzt und nicht nur einfach natürliche Materialien für die Herstellung eines Kunstwerks verwendet oder dieses in einer natürlichen Umgebung anlegt.
AK: Du beobachtest nun schon seit einem Jahr den Klang von Nantesbuch. Bitte beschreibe uns deine Vorgehensweise und welche Erkenntnisse du dir daraus erhoffst.
MM: Ich habe auf dem Grundstück fünf automatische Audiorecorder verteilt, die in stündlichen Intervallen die Soundscape aufzeichnen. Wir haben Orte ausgewählt, wo in den nächsten Jahren Veränderungen zu erwarten sind: Einerseits sind Gebiete renaturiert worden, andererseits sind auch in Bayern Effekte des Klimawandels im Wald gut sichtbar. Die Vegetation und mit ihr die Biodiversität an den einzelnen Standorten wird sich verändern und die Dynamik der Soundscape von Nantesbuch wollen wir über den Zeitraum von ein paar Jahren untersuchen.
AK: Das Kunstwerk, das du in diesem Zusammenhang kreiert hast, nennst du *posterity. Wie entsteht eigentlich Kunst aus wissenschaftlichen Daten und was verbirgt sich hinter dem Begriff und dem Projekt?
MM: Messdaten sind das Rohmaterial meiner Kunst, seien dies akustische Aufzeichnungen oder instrumentelle Messreihen. Meine Kunstwerke transportieren nun aber nicht nur einfach was gemessen wurde oder bringen es in eine ästhetische Form. Das wäre mir zu simpel, ich will ja Kunstwerke schaffen, die mich selber über längere Zeiträume beschäftigen und auch unterhalten. So wird aus den Messdaten in ihrer künstlerischen Verwendung/Interpretation etwas Drittes, welches sowohl Wissenschaft wie Kunst ist, ein klingender Hybrid - wie eine eigene immersive Wesenheit, die uns alternative Zugänge zur Umwelt ermöglichen soll. Ein solches akustisches System hat sein eigenes, musikalisches oder klangliches Verhalten, welches wir zwar programmieren, aber oft nicht genau voraussagen können. Oft sind meine Installationen Versuchsanordungen, Modelle für etwas in der Umwelt, das ich beobachten möchte. Diese Beobachtungen will ich mit dem Publikum teilen und diskutieren.
Die Arbeit *posterity besteht einerseits aus einem Radiosender, der die Geräusche aus der Landschaft von Nantesbuch online und manchmal auch analog sendet. Da ist Musik zu hören, die von Wetterdaten unserer Station im Feld gesteuert wird. Unser Radio ist ein Landschaftsinstrument, auf dem die Landschaft von Nantesbuch gespielt wird. Über das Musikhören sollen Zusammenhänge zwischen den Geräuschen der Landschaft und klimatischen/meteorologischen Parametern akustisch untersuchbar, erfahrbar werden. Das Radio ist Forschungs- und Musikinstrument zugleich, und an dieser Forschung können sich alle beteiligen, die möchten. Im Radio-Blog kann man seine Beobachtungen teilen und diskutieren.
Andererseits hat das Radio eine installative Erscheinungsform als Feldstudio in einem Blachenzelt, welches sich als Landmarke, als Horchposten in der Landschaft aufstellen lässt. Vom Radiozelt kann gesendet werden – analog und live, zum Beispiel im Rahmen eines projektbezogenen Events. Die Installation lehnt sich in ihrer Erscheinungsform an die improvisierten Piratenradios in Zürich in den 1980er-Jahren an. Die Jugendbewegung betrieb damals verschiedene Piratensender mit Demonstrationsinformationen und Punkmusik. Diese Studios mussten mobil sein, damit sie schnell auf- und abgebaut werden konnten, um nicht von der Polizei geortet werden zu können. Gesendet wurde dann aus dem Wald auf dem Hausberg Zürichs.
*posterity als englischer Begriff beschreibt die Nachwelt, kommende Generationen. Damit spiele ich auf die Veränderungen in der Soundscape von Nantesbuch an. Das Hintergrundbild unseres Webradios und des Blachenzelts besteht aus einer Sonne über dem Horizont: Geht sie auf oder unter? Werden die positiven Effekte der Renaturierungen die negativen des Klimawandels überwiegen oder umgekehrt?
AK: Beim Literaturfest Nantesbuch bist du auch als Musiker aufgetreten und mit eigens komponierter Musik, teilweise aus den Soundscapes von Nantesbuch. Welche Rolle kann die Musik bei der Vermittlung von Erkenntnissen über die Umwelt spielen?
MM: Meine Aufnahmen sind meist mit einem Verstärker aufgenommen, die Signale sind verstärkt und somit lauter als man sie draussen hören würde. Das schafft Nähe, Intimität – die Dinge rücken uns auf den Leib, werden zur seltsamen, körperlichen und emotionalen Erfahrung. Das betrifft besonders nicht wahrnehmbare Prozesse in der Natur, die über ihre artifizielle Verklanglichung mittels Computerprogrammen – wissenschaftlich nennt sich das Datensonifikation – eine für uns wahrnehmbare, fremde Stimme bekommen. Solche Erfahrungen lassen uns Eintauchen in das akustische Universum, und meine Hoffnung besteht darin, dass aus der Immersion Identifikation wird – dass man sich über die Hörerfahrung in meinen Kunstwerken als Teil der Umwelt wahrnehmen lernen kann, einer Umwelt, in der letztlich alles schwingt und klingt und sich gegenseitig zum Resonieren bringt – oder wie Timothy Morton das in seinem Buch «Ökologisch sein» sagt: «Ökologisch explizite Kunst ist einfach Kunst, die die Solidarität mit dem Nichtmenschlichen in den Vordergrund rückt.»
Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiedersehen und -hören in Nantesbuch!
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